Digitale Zwillinge für die Stadt von morgen
Möglichst schnell möglichst weit weg sollte es im Herbst 2017 gehen, als sich der Hurrikan Irma im Anzug auf den US-Amerikanischen Bundesstaat Florida befindet. Problem: Was tun, wenn man nur ein Elektro-Auto mit der gerade für amerikanische Verhältnisse geringen Reichweite von 320 Kilometern hat?
Hilfe mit digitalem Zwilling
Hersteller Tesla schaltete seinen Kunden aus der Ferne kurzerhand kostenlos zusätzliche Akku-Kapazität und damit zusätzliche Meilen frei. Möglich war diese Hilfestellung, weil Tesla von jedem verkaufen Fahrzeug ein digitales Abbild besitzt, das solche Ferneingriffe in die Softwaresteuerung zulässt – im Normalfall allerdings gegen Bezahlung.
Von Schifffahrt bis Industrie
Solche digitalen Zwillinge setzen sich in vielen Wirtschaftszweigen durch: Schiffsbetreiber erkennen mit ihrer Hilfe aus tausenden Seemeilen Entfernung, welche Teile gewartet werden müssen und können für den nächsten Hafenanlauf schon die Techniker buchen und Ersatzteile bestellen. Industriebetriebe planen mit ihnen komplexe Produktionsanlagen und simulieren dafür sämtliche Prozesse.
Städte mit 3-D-Modellen abbilden
Jetzt ist der digitale Zwilling auch in Städten auf dem Vormarsch. Hamburg, Leipzig und München gehören in Deutschland zu den Vorreitern. Hamburgs kommissarischer Projektleiter Adrian Fiedler erklärt: „Wir wollen nicht nur ein datenbasiertes, digitales 3-D-Modell unserer Stadt mit Gebäuden, Verkehrswegen und Grünflächen schaffen, sondern auch die Prozesse abbilden, die in einer solchen Stadt ablaufen.“
Stadtentwicklung
Die drei Metropolen suchen sich unterschiedliche Anwendungsgebiete der integrierten Stadtentwicklung aus, um neue „Use Cases“ zu testen. Das können beispielsweise die Verkehrsströme zu unterschiedlichen Tageszeiten sein. Verkehrsbehinderungen, etwa durch Baustellen, lassen sich so prognostizieren.
„Zum Beispiel werden wir im Digitalen Zwilling simulieren, wie sich neue Gebäude in ein bestehendes Quartier einfügen.“
Adrian Fiedler, Hamburgs kommissarischer Projektleiter
Anschaulich planen
Ganze Stadtteile mit ihren sozialen Infrastrukturen wie Krankenhäusern, Kitas und Pflegeeinrichtungen lassen sich digital abbilden. So wird wirklich anschaulich, was sich in einem Quartier verändern wird. Man kann im Vorfeld die Einwohnerzahl und den Energieverbrauch kalkulieren, wie viele Kindergartenplätze man braucht, ob Naherholungsflächen umgestaltet werden müssen, wie die Verkehrsführung aussehen sollte.
Die Stadt München erklärt, was ein digitaler Zwilling ist und informiert über die Umsetzung in der bayerischen Landeshauptstadt:
Mit Bürgerbeteiligung
Neben Verwaltung und Politik können sich auch Bürgerinnen und Bürger über Planungs- und Beteiligungsverfahren ein viel besseres Bild machen als das mit herkömmlichen 2-D-Karten möglich ist. „Das ist eines der Vorhaben des Projektes, die Bevölkerung stärker in Planungsprozesse mit einzubeziehen“, sagt der kommissarische Projektleiter.
Modell sein
Ein zweites Ziel besteht darin, die Ergebnisse der Modellprojekte zu teilen. „Wir wollen erreichen, dass möglichst viele Städte und Kommunen die einzelnen Bausteine übernehmen und für ihre jeweiligen Anforderungen mit ihren eigenen Ideen maßgeschneidert anpassen können“, macht Fiedler klar. Die Modellstädte setzen daher auf engen Informationsaustausch, und – wo immer es geht – auf Open-Source-Software und offene Standards.
Digital-Talente für die Städte
Bis die ersten urbanen digitalen Zwillinge laufen lernen, ist noch ein wenig Pionierarbeit zu leisten. Projektmanager, IT-Spezialisten, Geodatenexperten und zahlreiche weitere Fachleute müssen ihre Expertise bündeln und zusammenwirken. Die Modellstädte profitierten gleichsam doppelt, dessen ist sich Projektleiter Fiedler sicher: „Denn wir nutzen den digitalen Zwilling als neue und moderne Methode in der Stadtplanung und binden dabei digitale Talente an unsere Städte“.
Projekt „Connected Urban Twins“
Die Städte Hamburg, München und Leipzig arbeiten im Projekt „Connected Urban Twins – Urbane Datenplattformen und Digitale Zwillinge für integrierte Stadtentwicklung“ zusammen. Ziel ist es, neue, innovative Anwendungsfälle für die Stadtentwicklung und Beteiligungsformen zu entwickeln. Grundlage dafür sind die sogenannten „Digitalen Zwillinge“.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) fördert das Projekt zwischen 2021 und 2025 mit rund 21 Millionen Euro Fördergeld. Das gesamte Projekt kostet circa 32 Millionen Euro, die restliche Summe bringen die Städte selbst auf.
(Text: Kristina Behrend)
Mehr Input
- Mit Quantencomputing zum digitalen Zwilling
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie - Connected Urban Twins
München.de - Digitales Partizipationssystem im Projekt „Connected Urban Twins“
dipas.org - Verkehr in Echtzeit per digitalem Zwilling
it-daily.net - Deutschlands digitaler Zwilling
Behörden Spiegel - Digitaler Zwilling der Erde
Pläne der Europäischen Kommission - Funktionsweise und Ziele des Erdzwillings
ETH Zürich - EU fördert digitale Zwillinge in Unternehmen
Projekt „Digitbrain“