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Banner für Heft 1/2021 mit dem Titel "Mensch, Maschine". Neben dem Schriftzug ist ein Geflecht von Kabeln abgebildet.

Mensch bleibt bei E-Health unersetzlich

Die Digitalisierung bringt interessante Neuerungen für das Gesundheitswesen mit sich. Olaf Abraham, Pflegedirektor eines Klinikums mit einem der höchsten Digitalisierungsgrade in Deutschland, kennt den Schlüssel zum Erfolg, wenn es um E-Health geht. Im Gespräch macht er deutlich: Entscheidend ist die Sinnhaftigkeit.

Olaf Abraham, Pflegedirektor des Agaplesion Diakonieklinikums Rotenburg (Wümme)
Olaf Abraham, Pflegedirektor des Agaplesion Diakonieklinikums Rotenburg (Wümme)
Herr Abraham, viele Pflegeeinrichtungen beklagen, dass sie zu wenig Zeit für ihre Patienten haben und dass das Zwischenmenschliche häufig zu kurz kommt. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Das Abrechnungssystem im ambulanten und stationären Sektor hat in den vergangenen 20 Jahren dazu geführt, dass wir zunehmend häufigere und zugleich kürzere Patientenkontakte haben. Das ist eine Entwicklung, die wir dringend stoppen müssen: Wir brauchen wieder mehr Zeit, um unsere Patienten zu beraten und für sie da zu sein. Das würde sich positiv sowohl auf die Patienten als auch auf die Pflegekräfte auswirken. Die Pflege ist ein großartiger Beruf. Doch wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, ist es schwierig, motivierte Mitarbeiter zu halten und Interessierte für eine Ausbildung zu begeistern.

Welche Rolle spielt das Pflegestärkungsgesetz in diesem Kontext? Es soll doch genau diese Rahmenbedingungen schaffen?

Dieses Gesetz soll bessere Rahmenbedingungen schaffen. Es schreibt fest, dass wir die Pflege besser besetzen und sie mit mehr Hilfsmitteln ausstatten müssen. Im Krankenhausbereich ist der gesellschaftliche Druck also schon angekommen. Es wurden Besetzungsquoten definiert, sogenannte Personaluntergrenzen. Ich sehe das aber nur als einen ersten Schritt – auch der ambulante und der vollstationäre Seniorenheimbereich müssen personell besser besetzt werden.

beenhere

Die drei Pflegestärkungsgesetze

Die Menschen in Deutschland leben im Durchschnitt immer
länger. Laut Statistischem Bundesamt werden Männer heute im Schnitt 78 und Frauen 83 Jahre alt. Diese Entwicklung bringt mit sich, dass immer mehr Menschen im Alter auf Hilfe angewiesen sind.

Ziel der Bundesregierung war es, die Pflege mit den Pflegestärkungsgesetzen auf ein neues Fundament zu stellen. Das passierte in drei Schritten:

Pflegestärkungsgesetz 1 von 2014: Die finanzielle Pflegeunterstützung wurde neu ausgerichtet. Damit sollten Pflegebedürftige ab 1. Januar 2015 mehr Geld bekommen.
Pflegestärkungsgesetz 2 von 2016:  Der Pflegebedürftigkeitsbegriff wird neu definiert. Ab 2017 gelten neue Pflegegrade. Der Gesetzgeber führt ein neues Begutachtungsverfahren ein.
Pflegestärkungsgesetz 3 von 2016: Das dritte Gesetz zur Stärkung der Pflege tritt im Januar 2017 in Kraft und konkretisiert die Handlungsanweisungen und Zuständigkeiten des zweiten Gesetzes.

Zur Broschüre „Die Pflegestärkungsgesetze: Das Wichtigste im Überblick“ des Bundesgesundheitsministeriums

Digitalisierung bringt interessante Hilfsmittel mit sich. Wie können diese gewinnbringend eingesetzt werden?

Neue Technologien unterstützen zunehmend dabei, im Alter länger selbstständig zu bleiben. Das fängt damit an, dass Senioren dank Whats-App und Co. mehr am Leben von Freunden und Familien teilhaben können, auch wenn sie nicht mehr reisefähig sind. Und es geht hin zur Nutzung von Sensoren, die den Gesundheitszustand kontinuierlich beobachten, die Hinweise geben, wenn der Zuckerspiegel sinkt oder die Alarm auslösen, wenn jemand stürzt und Hilfe benötigt. Das vermittelt alleinlebenden älteren Menschen Sicherheit im Alltag.

Umfragen zeigen, dass sich immerhin vier von zehn Menschen vorstellen können, zu Hause von einem Roboter unterstützt zu werden. Welche Leistungen werden Pflegeroboter erbringen?

Es ist wichtig, zu wissen, dass Roboter programmierten Algorithmen folgen. Dadurch können sie klar definierte Abläufe durchführen und wiederkehrende Aufgaben übernehmen. Roboter wie „Pepper“, die als kommunikative Begleiter konzipiert sind, können mit Patienten über Spiele wie Schach und Memory das Gedächtnis trainieren. Roboter können uns auch in Alltagsabläufen entlasten, indem sie ein Glas Wasser anreichen oder auf Ansage eine Einkaufsliste zusammenstellen. Eins werden sie aber niemals leisten:

„Der Mensch ist in seiner Kreativität, seiner Empathie und seiner Menschlichkeit unersetzlich. Roboter sind Technik, die einen Zweck erfüllt. Roboter kompensieren aber niemals die herzliche, warme Umarmung eines Menschen.“

Olaf Abraham
Dennoch ist die Sorge gegenwärtig, im Beruf durch einen Roboter ausgetauscht zu werden. Wie gehen Sie mit solchen Ängsten in Ihrer Klinik um?

Sinnhaftigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Noch bevor wir bei uns in der Klinik die digitale Akte und iPads eingeführt haben, habe ich mir sehr viele Gedanken zu diesem Thema gemacht. Ich habe mich gefragt, wie wir jeden aus der Belegschaft auf die digitale Reise mitnehmen können und ob insbesondere die älteren Kolleginnen und Kollegen Schwierigkeiten mit der Umstellung haben werden.

Am Ende waren diese Sorgen unbegründet. Warum? Jeder hat sofort den Sinn gesehen und den Vorteil erkannt, den er aus der digitalen Akte für seinen Arbeitsalltag ziehen kann: Auf einmal musste niemand mehr Papier heraussuchen und durch die Gegend tragen. Stattdessen kann man jetzt alle Akten von jedem beliebigen Ort im Krankenhaus aufrufen, darin lesen und Informationen austauschen.

Bitmarck, ein IT-Dienstleister von mehreren gesetzlichen Krankenkassen, erklärt bei Youtube, welche Vorteile die elektronische Patientenakten für Jeden hat:

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Das hat sicher neue Maßstäbe in Sachen Transparenz und Therapiesicherheit gesetzt.

Ja, natürlich. Und genauso verhält es sich mit anderen Technologien: Digitale Informationssysteme für Arzneimittel helfen uns im Klinikalltag, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sofort zu erkennen. Schreiben wir ein EKG, erhalten wir einen Befundvorschlag, den der Kardiologe nutzen kann. Selbstverständlich gibt es Mitarbeiter, die mit neuer Technik intuitiver umgehen als andere. Daher ist es immer wichtig, dass alle ihre Fragen auch mehrfach stellen können und eine individuelle Schulung erhalten. Innovative Technologien fordern ein Umdenken in der Unternehmensführung, diese muss den Sinn und Zweck einer Prozessänderung vermitteln. Und sie fordern eine Umgestaltung der Personalentwicklung, die auf den Einzelnen eingeht.

Die digitale Akte liefert nur einen kleinen Vorgeschmack dessen, was Digital Health bieten kann. Was erwartet uns in den kommenden Jahren?

Digital Health bedeutet Vernetzung: Häusliche, ambulante und stationäre Prozesse verschmelzen zunehmend miteinander. Erfassen Sensoren und elektronische Pflaster kontinuierlich Körperdaten wie Blutdruck, Puls, Sauerstoff und Temperatur, dann können sie Hinweise auf ungünstige Veränderungen geben. Auf diese Weise kann der Haus- oder Facharzt beispielsweise bei einer aufkommenden Diabetes präventiv handeln, Vorboten eines Herzinfarkts oder Entzündungszeichen frühzeitig erkennen und behandeln. Mit einer Kanüle in die Haut versehen könnten die elektronischen Pflaster sogar Routineblutabnahmen ablösen, da alle Blutwerte kontinuierlich übermittelt werden.

Ganz futuristisch gedacht: Daten aus der Entschlüsselung des menschlichen Genoms bringen …

… natürlich neue Möglichkeiten in der Diagnostik und auch in der individuellen Gesundheitsvorsorge. Nanoroboter werden irgendwann die Größe von roten Blutkörperchen haben und die für den Patienten individuell abgestimmten Medikamente direkt an ihren Wirkungsort im Körper transportieren. Darüber hinaus könnten sie zukünftig auch freie Radikale aus dem Blut entfernen und so Krebszellen in ihrer Entstehungsphase eliminieren.

Interview bei Deutschlandfunk Kultur über die Genom-Entschlüsselung und die Rätsel der menschlichen DNA
Letzte Frage: Wirft Digitalisierung ethische Fragen im Gesundheitssystem auf?

Nein, jede neue technologische Entwicklung muss ethisch hinterfragt werden. Als Gesellschaft brauchen wir ein gemeinsames Verständnis der Möglichkeiten und der Effekte. Heute haben wir nicht genügend Spenderorgane, um alle Patienten zu versorgen. Die Warteliste ist lang und die Ressourcenzuteilung erfolgt nach einem komplexen System. Haben wir irgendwann 3-D-Drucker, die uns ein neues Herz oder eine neue Leber erzeugen, ist vielleicht eine ethische Frage beantwortet. Da sind aber noch eine Menge weitere Fragen, mit denen wir uns weiter beschäftigen müssen.

(Interview: Sonja Koesling)

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