Programmierbare Materie

Lesedauer 3 Minuten

Winzige Bots im Verbund verteilen Medikamente im Körper oder töten Krebszellen ab. Damit diese Vision wahr wird, erforscht Christian Scheideler programmierbare Materie.

Christian Scheideler
Christian Scheideler lehrt als Professor am Institut für Informatik an der Universität Paderborn, sein Forschungsschwerpunkt ist die Theorie verteilter Systeme. Nach  seiner Promotion arbeitete er als Postdoc am Weizmann Institut in Israel, als Assistant Professor an der Johns Hopkins University in den USA, und als Professor an der Technischen Universität München.
Herr Scheideler, Sie erforschen die Geheimnisse programmierbarer Materie. Zuerst einmal erklären Sie bitte, was man darunter versteht.

Programmierbare Materie besteht aus einfachen, intelligenten Elementen, die sich bewegen, Informationen austauschen und sich miteinander verbinden können. Dadurch kann derartige Materie ihre physikalischen Eigenschaften wie Form, Farbe und Dichte verändern. Biologische Analogien finden sich beispielsweise beim einzelligen Schleimpilz Physarum Polycephalum, der seine Form ändern und sich nachweislich sogar gezielt fortbewegen kann. Oder beim Chamäleon, das seine Hautfarbe wechselt.

Die Welt berichtet über den Schleimpilz, auch „der Blob“ genannt:

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Ziel der Forschungen im Bereich der programmierbaren Materie ist es, solche Phänomene zu verstehen und durch geeignete biologische, chemische oder mikromechanische Elemente nachzubilden – vielleicht auch völlig neue Formen zu erschaffen.

Wofür braucht man so ein Material?

Programmierbare Materie wird die technische Entwicklung in vielen Bereichen revolutionieren. Nehmen wir die Medizin: Schon jetzt können Bakterien so umprogrammiert werden, dass sie Gefahrenstoffe abbauen oder Arzneien wie Insulin produzieren. Aber das ist erst der Anfang. Programmierbare Materie im Körper eines Menschen wäre in der Lage, minimal invasiv Krebszellen abzutöten, Medikamente zielgenau zu verabreichen und Arterienablagerungen zu entfernen, um Thrombosen vorzubeugen oder abzubauen. Das wäre ein enormer Fortschritt für die Medizin.

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Minimal invasiv

Programmierbare Materie aus Nanobots könnte Krebszellen komplett umhüllen und von der Nährstoffzufuhr abschneiden. Die Krebszellen wären isoliert und sterben ab.

Mit Sicherheit. Wie motiviert man denn diese kleinen Elemente, sich nach Wunsch zu bewegen? Intelligent sind die ja nicht wirklich, oder?

Am ehesten könnte man vielleicht von kollektiver Intelligenz sprechen, ähnlich wie es sie bei Ameisen gibt. Jedes Teil des Systems hat spezielle, sehr kleinteilige Aufgaben. Der Befehl zum Handeln kann auf zwei Wegen initialisiert werden: Entweder von intern, bei unserem Beispiel also von einer Königin, sagen wir, wenn es um die Fortpflanzung geht. Oder von extern, wenn eine Ameise mit Nahrung zurückkommt oder ein Angriff erfolgt, werden jeweils unterschiedliche Reaktionen bei einzelnen Tieren ausgelöst und setzen eine Abfolge weiterer Handlungen in Gang.

Blicken wir jetzt auf die erwähnten mikromechanischen Elemente – das sind dann winzige Nanobots, die einen kleinen Prozessor mit einer schlanken Software enthalten und sich auf einen elektromagnetischen Impuls hin bewegen können. Es gibt einen Master-Bot, wie die Ameisenkönigin, der den Startschuss gibt, damit anliegende Bots beginnen, sich zu bewegen und auf eine vorgegebene Form hinzuarbeiten. Alle anderen Bots agieren auf der Basis von wenigen Befehlen, die ihnen ermöglichen, sich schrittweise nach einem bestimmten Muster mit anderen Bots zu verbinden. So entsteht dann aus einer beliebigen Anordnung – von sagen wir 100 Nanobots – innerhalb kürzester Zeit eine zwei- oder sogar dreidimensionale geometrische Form.

Und Ihre Arbeit als theoretischer Informatiker ist?

Ich entwickle und analysiere Rechenmodelle für programmierbare Materie. Dann untersuche ich, ob Algorithmen für diese Rechenmodelle existieren, die wichtige Herausforderungen im Bereich der Materie lösen können. Etwa das Bilden von unterschiedlichen Strukturen wie Röhren oder Brücken, die Ummantelung von Objekten oder die kollektive, zielgerichtete Bewegung.

Als Grundlagenforscher arbeite ich für die Zukunft und für die nachfolgenden Generationen – die können meine Ideen und Berechnungen dann eines Tages hoffentlich realisieren.“

Christian Scheideler

An der Universität Paderborn arbeiten wir mit dem „Amoebot Modell“. Es hilft uns in der Grundlagenforschung, das komplizierte Konzept der programmierbaren Materie herunter zu brechen – auf eine Sammlung einfacher Rechenelemente, die lokal interagieren, um gemeinsam Koordinations- und Bewegungsaufgaben zu erfüllen. Vorbild sind einzellige Amöben, die sich auf faszinierende Weise eigenständig bewegen können, indem sie einen Teil ihres Gewebes in einer Richtung ausdehnen und am anderen Ende ihres Körpers zusammenziehen.

Und wann bekommen wir diese programmierbare Materie?

Das kann man noch nicht sagen. Trotzdem ist es wichtig, jetzt schon herauszufinden, welche Rechenmodelle realisiert werden sollten, damit die Anwendungsszenarien für programmierbare Materie eines Tages möglichst effektiv umgesetzt werden können.

(Interview: Andrea Brücken)

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